REZENSION: TSCHECHOW-DOPPEL: Der Bär / Heiratsantrag
(zitty - 5. November 2009)
von Tom Mustroph
Vor den von Anton Tschechow angelegten Parcours durch die Dunkelkammern
des menschlichen Seelenapparats hat Regisseur Stefan Neugebauer im Stadtbad
Steglitz einen kleinen Geistergang durchs Innere des alten Schwimmbads
platziert. Man kommt an ausrangiertem Mobiliar, zeitlosem Reinigungsgerät
und possierlich wirkenden Bäderutensilien vorbei und wird behutsam
auf die dann folgende Zeitreise ins spätzaristische Russland eingestimmt.
In Neugebauers Inszenierung der zwei Einakter „Der Heiratsantrag“ und „Der
Bär“ erweist sich der vor 105 Jahren verstorbene russische
Dramatiker als ein Mann des Heute. Denn er zeigt mit diesem kleinen,
aber feinen Tschechow-Doppelpack, wie sehr die Kommunikation die Realität
beeinflussen kann. Komisch wird es, weil Tschechow ausgerechnet den Sonderfall
der missglückten Kommunikation zum Anlass der Realitätsveränderung
nimmt. Im „Heiratsantrag“ steigert sich das designierte Brautpaar
erst in einen heftigen Nachbarschaftsstreit hinein, so dass der Antrag ganz vergessen wird. „Der
Bär“ hingegen illustriert, wie heftige Wortturbulenzen einer
trauernden Witwe die Trauer, einem Geldeintreiber die Gier nach Geld
und einem Diener die Contenance austreiben. Weil das Schauspiel-Trio
Silke Jensen, Folke Paulsen und Friedhelm Ptok sehr präzise und
emotional gut geführt spielt, leuchten diese zwei dramatischen Kleinigkeiten
wie zwei unerwartet gefundene Brillianten.
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